Die Sonne lachte von einem strahlend blauen Himmel, die Vögel zwitscherten in den Bäumen und ein lauer Wind spielte vergnügt mit einigen heruntergefallenen Blättern. Das rege Treiben in den Straßen dieses Dorfes schien durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Alles ging seinen alltäglichen Gang. Das Wasser floss den Fluss hinunter, die Händler priesen ihre Waren in den Läden an, Kinder spielten auf der Straße. Ein Mädchen saß neben ihrem Hund und versuchte ihm beizubringen, dass er sich auf Kommando setzten sollte. Sie schien damit wenig Erfolg zu haben. An einer steilen Felswand wachte das auffälligste und wohl auch höchste Gebäude der Stadt über die Einwohner. Wenn man Glück hatte, konnte man dort auf dem Balkon einen Mann sehen auf dessen Schultern das Wohlergehen der Bewohner lastete. Dieser Mann war kein geringerer als der Hokage. Doch mit ihm hatte die junge Frau, die scheinbar ohne greifbares Ziel durch die Straßen schlenderte nichts am Hut. Sie war mit den Gedanken noch an einem anderen Ort. Es war vielleicht gerade eine halbe Stunde vergangen. Sie war in einem Tempel gewesen, er schmiegte sich an das Shinobi-Dorf und seine Bewohner konnte man vereinzelt auch in den Teams finden, die im Auftrag des Hokage unterwegs waren. Sie war mit den Ritualen die dort herrschten eng vertraut und niemand hätte auch nur den kleinsten Verdacht erwogen, dass sie eben nicht dort hin gehörte. Das war auch der Grund warum sie sich unbehelligt durch diese Straßen wagen konnte.
Rika musste an ihre Kindheit denken. Sie selbst hatte in einem Tempel gelebt, der auch hier in Konoha ansässig war. Alles hier schien ihr so verraut zu sein. Die Anlage an sich, der Aufbau der Gebäude, die Brücken die über die unzähligen kleinen Teiche und Bäche führten. Warum konnte es nicht so gekommen sein, dass sie hier bei ihren Verwandten hätte aufwachsen können. Die ganzen Albträume die sie Nacht für Nacht plagten, die Schreie, Gesichter der Toten, das alles wäre ihr erspart geblieben. Und ein ganz besonderer, der sie nicht nur in der Nacht quälte, sondern auch am Tag wenn sie es wagte, sich in ihren Gedanken zu verlieren. Der Besuch im Tempel hatte all die grausamen Todesschreie wieder ans Licht gezerrt, nachdem die Miko es geschafft hatte, sie tief in sich zu begraben. Das Verständnis dafür, warum man einem Mädchen die Schuld an dem Tod der Bewohner eines ganzen Dorfes geben konnte, das fehlte ihr bis heute. Wahrscheinlich würde sie es nie verstehen, wer dazu im Stande war, das Leben eines unschuldigen Kindes so zu zerstören. War es der Hokage gewesen, den hier alle so verehrten, war es der übrige Teil ihrer Familie, der sie eben nicht einmal wirklich wahrgenommen hatte. Dachten sie wäre irgendeine Miko aus einem der anderen Tempel. Sie hatte ihrer Tante in die Augen sehen können und diese hatte sie behandelt wie jede andere auch. War ihr Schicksal ihr so egal gewesen, sie vielleicht schon längst vergessen? Insgeheim hatte die Frau gehofft, dass sie irgendwo etwas finden würde, etwas das sie an ihre Eltern erinnerte. Aber nichts. Keine Spur.
Mit diesem Gedanken im Gepäck betrat sie eine kleine Seitenstraße. Nichts unterschied sie wirklich von den anderen. Warum sie hier abgebogen war wusste sie selbst nicht so genau. Aber vielleicht wollte sie noch etwas Zeit schinden, bevor sie sich am Treffpunkt einfand. Aus heiterem Himmel trat ein Kind vor se und die Miko hätte es wahrscheinlich auch umgerannt, wenn sie nicht dessen Stimme vernommen hätte. Milde lächelte sie nun, vergas für den Augenblick den das Gespräch andauerte ihre Sorgen und dunklen Gedanken. Kinder waren so unschuldige Geschöpfe. Sie wusste gar nicht, wie sie mit einem einfachen fröhlichen Lachen den Tag verändern konnten. Am liebsten hätte sie den kleinen neugierigen Jungen mitgenommen. Aber sie brachte ihren Mitreisenden einfach kein Glück. Zu viele die sie leib gewonnen hatte waren bereits an ihrer Seite gestorben. Nur ihr jetziger Weggefährte schien immun gegen das Pech zu sein, dass sie übertrug. Der Gedanken an ihn brachte auch ganz andere mit sich. Wie lange es nun schon genau her war, konnte Rika nicht mehr sagen, aber sie erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen.
Die beiden waren seit etwa einem Jahr zusammen unterwegs. Was genau die beiden aneinander band, konnte man vielleicht nicht auf Anhieb erkennen, aber wahrscheinlich wussten sie instinktiv, dass sie zu viel durch gemacht hatten. Ihre Erlebnisse, auch wenn sie noch so grundverschieden waren, sich gleichzeitig ähnelten. Keiner wollte darüber reden, so stellte auch keiner Fragen. Dieses stille Einverständnis und der Schmerz der die beiden Menschen verband reichten aus um aus ihnen Weggefährten zu machen. Es war ein sonniger Tag im April. Rika lehnte an einem Baum in dessen Ästen versteckt nicht nur ein paar Vögel zwitscherten, sondern es sich die eine oder andere Zikade bequem gemacht hatte. Vertieft in eine Schriftrolle, deren Inhalt die Miko förmlich in sich Einsog, war es ihr egal was Shou gerade anstellte und ob er mit dieser Pause überhaupt einverstanden war. Plötzlich spürte sie etwas, auch Hanyuu war zur Stelle gewesen und faselte etwas von einem seltsamen Fremden der ihr nicht geheuer war. Noch bevor sie überhaupt richtig reagieren konnte, stand er auch schon bei ihr. Erschrocken, nicht wissend was gleich auf sie zukommen würde ging Rika in Angriffsstellung. Doch es sollte nichts geschehen. Er war weder hinter ihr noch ihrem Begleiter her. Er stellte sich als ein Verbündeter vor, der nicht die Absicht hatte ihnen etwas zu tun. Er wollte sie lediglich um einen Gefallen bitten, da sie ja sozusagen für dieselbe Sache kämpften. Und als Gegenleistung würde Rika alle Informationen dazu erhalten, was in ihrem Dorf damals wirklich geschehen war. Bisher kannte sie nur einen kleinen Teil der Wahrheit. Aber er könne ihr alles sagen, so damit sie endlich die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen konnte. Es war ein verlockendes Angebot, aber die Hiiragi war misstrauisch. Misstrauisch genug, um diesen Handel nicht einzugehen. Das Gespräch ging noch eine lange Weile und jedes Wort das gesagt wurde, lockte sie weiter in die Fänge des Unbekannten. Sämtliche Alarmglocken samt dem Geistermädchen in ihrem Nacken schreien laut auf. Irgendwann hatte er sie da, wo er sie haben wollte. So schien es zumindest, als sie den Handel letzten Endes doch einging. Zusammen mit Shou, der seine eigenen Grunde tief verborgen in der dunklen Vergangenheit hatte.
Ihre Schritte hatten sie inzwischen an die oberste Stufe einer Ellen langen Treppe geführt. Rika war noch mit ihren Gedanken beschäftigt um sich bewusst zu werden, dass sie früher oder später genau diese Treppe hinab steigen musste. Jetzt hieß es erst einmal warten, bis sich ein gewisser Mann ebenfalls an dieser Stelle einfand. Diese Gelegenheit nutzte Hanyuu um sich zu Wort zu melden. „Ich glaube nicht dass er noch kommt. Wahrscheinlich ist er abgehauen, oder sie haben ihn erwischt.“ Die Stirn in Sorgenfalten gelegt sah das Dämonenmädchen die Miko an. Die reagierte zuerst nicht. Mit dem Gedanken, dass sie vielleicht nicht gehört worden war sprach sie weiter. „Hauu~ Rika, lass uns gehen. Es ist viel zu gefährlich hier. Was wenn man uns erwischt.“ Langsam wurde sie zappelig, tänzelte von einem Bein auf das andere. Angst schwang in ihrer Stimme mit. Doch die Frau mit dem langen weißen Haaren war die Ruhe in Person. Sie hätte an einem Urlaubstag am Strand nicht ruhiger und entspannter wirken können. Ihre Worte waren lediglich Gedanken die in der Luft hängten. Doch schien Hanyuu sie deutlich zu verstehen. „Wenn er in einen Kampf verwickelt worden wäre, würde wohl die halbe Innenstadt nicht mehr stehen.“ So viel zu diesem Thema. Eigentlich beschäftigte sie etwas ganz anderes. Denn egal welchen Weg sie eingeschlagen hatte, überall hin hatten sie diese vermaledeiten Treppen verfolgt. Welcher gehirnamputierte Idiot hatte hier die Stadtplanung übernommen? Sie konnte nur hoffen, dass Shou ihr nachher eine helfende Hand reichen würde, damit sie diese doofen Stufen nicht unter einem Hagel an Flüchen hinunter fallen würde. Denn dies würde alles andere als unauffällig sein. „Rikaa~ lass uns gehen.“ Langsam nahm der Gesichtsausdruck der Frau ziemlich genervte Formen an. „Bittee~“ Jetzt reichte es. „Hanyuu, halt die Klappe, sonst grade dir der Gott, der gerade verfügbar ist.“ Gedanken hatten sich in Worte verwandelt, die scheinbar etwas zu laut ausgesprochen wurden. Am liebsten hätte sich die Miko einfach mal kurz unsichtbar gemacht. Aber das ging bekanntlich leider nicht und so konnte sie nur hoffen, dass ihr Reisebegleiter jeden Augenblick neben ihr auftauchten würde und sie gehen konnten.